5. Theater- & Kulturreisen – Lateinamerika
Reisen bildet. Janssens‘ Leben ist eine große Reise. Zeit für Urlaub hat er sich kaum genommen. Das können die bestätigen, die das Glück wie die Überraschungen erlebten, mit ihm zu reisen. Er hat sich auf seine Reisen vorbereitet wie kaum ein anderer. Hat von eigener Hand immer wieder Landkarten gezeichnet, hat sich Wissen über Länder, Landschaften, Orte, Geschichte und Kultur beschafft und eingeprägt. Er hat – vorher schon wie dann unterwegs – persönliche Kontakte eingefädelt, vor Ort verlebendigt: zu Leitgestalten, zu Priestern, Dichtern, Künstlern, Botschaftern, zu den Menschen auf der Straße, auf Märkten und Plätzen. Polyglotte niederländische Weltläufigkeit eröffnete ihm Nähe zu den Einheimischen wie Fremden. In die Reihe der Berufe, die er hätte ausfüllen können, reihe ich ein die eines Kartographen, eines Dolmetschers, eines außergewöhnlichen Reiseführers, eines Händlers, eines Theologen, eines Wirts. –
Es versteht sich, dass er im alten Europa zu Hause war wie in Deutschland, hüben und drüben, oben und unten, an den Rändern wie in der Mitte, ununterbrochen. Etwa zwei Regalmeter Falkpläne, viele sehr genutzt, große Atlanten, die besten Land- und Citykarten und viele kulturell interessante, originale Mitbringsel schmücken sein Haus. Seine große Liebe: die Länder Süd- und Mittelamerikas.
Das kam so: 1964, von April bis Dezember, wurde Janssens aufgrund seiner musikalischen und schauspielorientierten Fähigkeiten vom Intendanten Reinhold Olszewski zu einer Theater-Tournee durch Süd- und Mittelamerika verpflichtet. Sie ging von den Deutschen Kammerspielen in Buenos Aires aus und führte durch bald alle Länder bis nach Mexiko City. In einem Ensemble von Schauspielern. Janssens ist als musikalischer Leiter und Begleiter des Ensembles tätig, schreibt vor Ort Szenenmusiken, Chansons, Klaviersoli, Bildwechselmusiken, Kinderlieder, Märchenmusik und macht alle Geräusche, die bei den Aufführungen notwendig sind, mit Hilfe seines Klaviers life. Im Verlauf der Reise und der vielen Auftritte springt er als Schauspieler ein, steigert sich vom Clown am Rande bis hin zur größeren Rolle. Vom Faust bis hin zum Cabarett, bis zum Songprogramm wird alles rauf und runter gespielt. Die Intendanten Reinhold Olszewski und Ulrich Erfurth sind von ihm angetan.
Ein exemplarisches Zitat nur aus seinen Briefen, das Tages- und Nachtläufe veranschaulicht: „Die Stadt Buenos Aires ist so wundervoll, schnell, lebendig. Der ganze Kontinent scheint einen Kulturhunger zu haben, in jedem Fall einen Musikhunger. 14.00 Uhr Theater, 15-17.30 Uhr Aufführung ‚König Drosselbart’, 18.00 Uhr ein sehr gutes Jazzkonert. Dann Spaziergang durch die Stadt zum Hafen, da liegt das 22000 T Passagierschiff Brasil, um 23.00 Uhr in einem Jazzkeller, wo ein Trio spielt, eingestiegen, z.T. spanisch gesprochen, dann mit den sehr sympathischen Musikern in das Musiker- und Künstlerstammlokal bis um 6.00 Uhr morgens, bis 9.00 Uhr geschlafen, 9.30 Uhr Besprechung im Hotel, anschließend Frühstück, Theater San Martin angeschaut. Das ist ein modernes Theater mit drei Bühnen, eine Riesenbühne für 1500 Menschen, eine amphitheatralische Kammerbühne, ein Spezialkino für künstlerisch wertvolle Filme.
Dann mit der U-Bahn zum Meer gefahren, Spaziergang am Kai, um 13.00 Uhr Essen, 15.00 Uhr ‚Maulkorb‘-Aufführung mit großem Erfolg. Überhaupt haben wir bis jetzt nur gute Kritiken bekommen. Im Tempo ins Theatro Colon, das schönste und größte Opernhaus der Welt. Der Star-Bariton Cornell MacNeil wurde so stürmisch gefeiert, wie ich es noch nie gehört habe. 15 Minuten Applaus. Dann gab es noch die Goldberg-Variationen von Bach, gespielt von K. Richter am Cembalo in einer Kirche, dann Spaziergang durch die Stadt. Übrigens bin ich hier in meinem Element. Es herrscht ein echtes Interesse für soziologische Probleme, zugleich unter kultureller und anthropologischer Sicht, die Leute sind sehr belesen, interessiert und können großartig Gespräche führen.“(14)
1965 folgt von Mai bis August eine zweite Theaterreise unter anderem mit Erfurths Inszenierung von Faust II. Janssens ist wieder für Kompositionen, Einstudierung und musikalische Begleitung der Aufführungen engagiert. Eine Tournee mit der Chansonistin Lilianette Spagatner im Auftrag des Goethe Instituts München, wieder durch viele süd- und mittelamerikanische Länder, eingeschlossen. Im Programm Namen wie Brecht/Weill, Kreissler, Heine, Tucholsky, Kästner, Holländer. Ich denke, Janssens‘ musikalisches Repertoire prägt sich auch darin, wie seine späteren eigenen Vertonungen und Theatermusiken eindrücklich zeigen.
Reisen nach Nicaragua und dort nach Solentiname zu Ernesto Cardenal (die ersten 1971 und 1972) dienen dem persönlichen Kennenlernen des großen nicaraguanischen Dichters und Priesters und seiner Umsetzung des Evangeliums unter den Nicas. Ein Film wird für den WDR gedreht, in dem Janssens mit seinem eigenen Ensemble das Gebet für Marilyn Monroe in der Gemeinschaft um Cardenal spielt.
Militär- und Clan-Diktaturen beherrschten damals die südlichen Länder Amerikas. 1977 wurde mit vielen bekannten und unbekannten Intellektuellen und Patrioten die deutsche Elisabeth Käsemann, Tochter von Ernst Käsemann, Tübingen, in Argentinien umgebracht. 1987 komponiert Janssens für die Nicaraguaner Donald und Elvis zu einem Text von Ernesto Cardenal ein Requiem, singt und spielt es den Angehörigen vor Ort zum Trost, den Opfern zum Gedächtnis. Die beiden wurden von ihren Mördern bei lebendigem Leib vergraben.(15)
Die Transportmöglichkeiten waren primitiv, zum Teil gefährlich. Aber die Länder und die Landschaften mit ihren großen Indiokulturen und Tempelanlagen, ihren gigantischen Metropolen wie ihren in die Täler und Berge eingeschmiegten, armseligen Hüttensiedlungen, vor allem die von den Einwanderen und Sklaven mitgebrachten musikalischen Rhythmen und Stile zogen Janssens magisch an. – Er ist um die dreißig Mal in seinem Leben ins Lateinische Amerika gefahren(16), um Kräfte und Einfälle zu schöpfen für seine Arbeit zu Hause.
Wir vergessen nicht, wie er ganz allein und bald eine Stunde lang auf einer der Pyramiden von Monte Alban bei Oaxaca saß und von der angelegten Hochebene hinaus ins umgebende Bergland schaute und schaute. Zapotekische Kultur zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert n. Chr. Was ist der Mensch und was kann er in der Weile seines Lebens? „Ich bin verloren im Augenblick, einsamer kleiner Vogel auf einem großen Dach.“(17)
aufgeschrieben von
Friedrich Karl Barth