6. Die Treffen in Telgte

6. Die Treffen in Telgte

Janssens‘ Jägerhaus ist ein herrlicher Hof, den er mit Wilgard zusammen im Lauf der Jahre zu einem kleinen Latifundium erweitert hat. Sie brauchen den Platz nicht für sich selbst. Sie brauchen ihn als gesunde Weide und Auslauf für ihre Tiere: die Hühner, die Enten, die Gänse, die Ziegen, die Schafe, die Hunde, die einfliegenden Reiher, die vielen Vögel in den Ästen und auch die Maulwürfe. Malträtierte Geschöpfe haben hier Zuflucht, Heimat gefunden und werden als Tiere des Hauses geachtet wie Menschen, die als Gäste Haus und Hof genießen. Diese Tage habe ich frei, sagt mir Wilgard, als ich zur Recherche gekommen bin, diesmal macht Oliver den Tierdienst. Lukas und Priska sind andere Male dran, du siehst, wir sind ein eingespieltes Team. – Es tut ihr gut, dann und wann mal nicht dran zu sein.

Früh die Ställe öffnen, Futter zubereiten und an die festen Plätze bringen, die Weidegatter umstellen und Milch für die Katzen, lange Wege mit den Hunden. Die Ställe sauber halten, Heu machen und auf dem Scheunenboden bansen, dann wieder zusseln und in die Krippen bringen. Jedes hat seinen Namen, mit jedem einen Mund voll reden, Kränkelnde pflegen. Jahrein, jahraus tägliche Pflicht, die man nicht einfach mal vergessen könnte.

Treffen in Telgte? Anfangs sprach ich vom exterritorialen Gelände. Die Janssens haben ihren Grund symbolisch begriffen. Eine Menschenweide allein kann er nicht bleiben. „Anwalt des Lebendigen sein“(18) bedeutet ihnen, Tieren – vor allem gequälten – Asyl zu gewähren und das Land wie damit das Wasser im Brunnen vor schneller Chemie zu bewahren.

Das scheidet die Geister, ganz einfach. Wer sich mit Tieren nicht wohlfühlt, wird wegbleiben, wer Tiere meint verzehren zu müssen, wird bei den Janssens zum Hungerleider. Wer sich an sie gewöhnen kann, ist willkommen. Und willkommen sind von Anfang an alle schöpferischen Köpfe und Seelen, die ein Vorhaben mit Janssens im Schilde führen.

Die Hunde schlagen an. Es ist jemand am grünen Tor. Peter Janssens geht seinen Gästen mit ausgebreiteten Armen entgegen und führt sie herein. Die Begrüßung ist ein Friedensgruß, herzlich, wie er in der Liturgie sein könnte. Der Tisch ist gedeckt, jedes Mal eine Augenweide; im Garten werden schnell noch frischer Knoblauch und Zwiebeln geholt. Beim Schälen und Hacken wärmt sich das Gespräch um die Sache bald an. Er erfragt den Stand der Dinge. Horcht heraus, wie die Stimmung gestimmt ist, hat ein feines Ohr – auch für Miss- und Zwischentöne. Er hat die jeweilige Lage schneller als andere begriffen. War meistens schon vor Ort. Seine Ideen sprudeln, sie lassen sich in den Köpfen nieder wie die Vögel im Baum; sie zwitschern und die Einfälle kommen. Dann geht man zusammen in sein Studio und hört die neugeborenen Melodien, die Rhythmen, den eigenen Text aus seinem Mund gesungen, von seinen Händen umspielt. In Pausen führt Piet durch die Gärten zum Teich hin und dann im großen Bogen über die nach Telgte gelegenen Äcker, zur Erquickung der angestrengten Leiber.

Das Jägerhaus ist in den Jahrzehnten seines Wirkens eine großzügige Herberge für nicht zählbare Treffen vieler kreativer, kleiner und großer Kreise, die je um ihr Vorhaben ringen, die denken, kämpfen, probieren, durchgehen, aufschreiben, hören und fühlen, handwerken, von vorn anfangen – bis es stimmt.

Gäste kommen von überallher. Gäste gehen nach überallhin. Gäste lernen Gäste kennen und mit ihnen deren Themen, die die eigenen Ideen oft in ganz neue Felder pflanzen. Das Jägerhaus ist ein Ideenbrunnen, der stetig weitersprudelt. Meistens braucht man ein paar Tage hinterher, um die gewonnenen Einsichten in sich zu verarbeiten, zu verdauen, sich setzen zu lassen, um dann den eigenen Part weiterzutreiben.

Wirt und Wirtin sind Peter und Wilgard mit ihren Kindern (solange die zu Hause wohnen). Telgte hat einen guten Ruf als Ort für Pilger. – Du fragst dich manchmal: woher die Familie die Kräfte, die Zeit auch genommen hat für solche Hoch-Zeiten des Geistes und der Seele und wie sie die folgenden Tiefs hat ausregnen lassen, dann, wenn wir, alle die Gäste wieder vom Acker gingen. Geregelte Arbeitszeiten wie in Akademien hat es nie geben können, Teilnehmerkosten erst recht nicht. Es war immer, als wären wir zu Hause.

Seit 1982 finden in Telgte alle zwei Jahre die MUTtage statt. Mut brauchst du immer; der Titel ist Programm. MUT – Kürzel für Musik, Umwelt, Theater. Janssens hat stetig dazu ermutigt. Hat Musiker, Texter, Theaterleute und alle, die es werden wollten, eingeladen und mit ihnen gearbeitet. Musiker zogen Musiker und Texter Texter heran. Theater ergab sich daraus wie von selbst. Lesungen, Szenen, kleine Stücke und dann jeweils die ersten Aufführungen der großen Janssens-Stücke. Das sind Werkstätten gewesen, in denen jede und jeder aus sich herauskommen konnte, in denen Nachwuchs nachwuchs. Das sind im aufstrebenden Mittelzentrum, so ordnet sich Telgte ein, kulturelle Ereignisse, die vom Bürger Janssens für viele Gäste von weither wie für seine Mitbürger veranstaltet wurden. 1984 hat ihm die Stadt wohl auch darum den Kulturpreis verliehen.

7. Verlag und Gesangsorchester

aufgeschrieben von

Friedrich Karl Barth