8. Das Lebenswerk

8. Das Lebenswerk

Peter Janssens‘ umfassendes Werk ist in Noten und klanglichen Aufnahmen dokumentiert. Lukas, der Älteste, verwaltet das Archiv. In fünf Hauptstraßen will ich es fassen und zu veranschaulichen versuchen.

Die erste, die Theaterstraße:

Janssens ist von 1966 bis 1975 musikalischer Leiter bei den Festspielen in Bad Hersfeld. Ein Stapel Verträge weist die Theaterstädte aus, in denen er – oft mehrmals, bzw. über Jahre hin – bis 1998 engagiert war: Bad Hersfeld, Bochum, Castrop Rauxel, Darmstadt, Dinslaken, Dortmund, Düsseldorf, Essen, Göttingen, Hamburg, Luisenburg, Innsbruck, Kiel, Köln, Mönchengladbach, München, Münster, Osnabrück, Recklinghausen (Ruhrfestspiele), Salzburg, Stuttgart, Tübingen, Wien, Wiesbaden, Wunsiedel.(23)

Mit den Intendanten Reinhold Olszewski, Buenos Aires, Ulrich Erfurth, Bad Hersfeld, Hans Dieter Schwarze, Castrop-Rauxel, Günther Fleckenstein, Göttingen, Manfred Beilharz, Tübingen, verbinden ihn langjährige Freundschaften.

Was ein Komponist und Musiker am Theater machen kann, hat er sich einfallen lassen. Janssens komponiert, produziert und spielt ein breites Repertoire: Von den Griechen über die Klassik zur Moderne; vom Schauspiel über Musiktheater und Musicals zum Märchen, zur Revue, zur Satire, zum Spektakel, zum Songprogramm („Wenn ich zwei Flügel hätt'“ mit Glenn Walbaum zum Beispiel).(24) Die Bauernoper, Text von Yaak Karsunke, krönt Janssens‘ Schaf- fen am Theater; sie wurde in Tübingen, Franfurt und Göttingen gut dreihundert Mal aufgeführt.

Die zweite, die Straße der Kinder:

Janssens hat einen weiten Bogen für die Kinder gespannt. Er nimmt sie als Partner an und ernst, verleiht ihnen Stimme und Spielmöglichkeiten, weckt ihr kritisches Selbstbewusstsein, führt sie elementar ein in die Grundfragen nach dem Sinn im Sein, an denen keiner, auch nicht einer sich vorbeidrücken kann. Selbst wenn es scheint, als könne das heute gelingen.

Sein Schaffen durchzieht eine reiche Sequenz von lebenslustigen und griffigen Liedern, in denen sich Kindersorgen Luft machen, die aber auch das Kind im Mann wie in der Frau aufwecken können, also da Einvernehmen schaffen, wo leicht Konfrontation unterläuft.

Kinderträume, Märchen, die Feste im Lauf des Lebens, kindliche Tierliebe, auch Neugier auf Fremde und Andersartige, die ‚Ausländer‘ nebenan, werden musikalisch so umspielt, dass sie in der Seele der Kleinen aufgehen und wirken, von vorn herein Leitbilder und -wege prägen können.

Ein Zyklus von Musikspielen eröffnet eine fantasie- und gestaltungsfreudige Aneigung der archetypischen biblischen wie eigenen Geschichten: Einfache Mittel, Szenen, in die jeder einsteigen, die viele spielen, gestalten und bewältigen können, ‚Ohrwürmer‘, in denen die apart Begabten groß herauskommen und gewinnen können. In denen Kinder das Beste nicht vergessen müssen: den eigenen Schlüssel zum Leben zu finden und dann auch zu gebrauchen. Janssens Freundschaft mit Rolf Krenzer.

Die Straße, die Janssens mit Kindern in großem Ernst, in Hingabe und Zuneigung gezogen ist, war so beglückend intensiv wie lang; sie geht schon darum weiter, weil aus vielen Kleinen, die das Glück hatten, mit ihm zu spielen und zu singen, Eltern wurden und werden, die eigene Erinnerung weitergeben werden. Dass uns die Kleinen groß erscheinen, das hat er gelebt: „Hier kommen die Könige.“(25)

Die Straße der Lieder:

Jeder von uns braucht Lieder, so wie jede von uns Sonntage braucht. Und was du singen kannst, das berührt mehr als die Vernunft, das rührt die Seele an. Was ist ein Lied? Darauf antwortet Piet, einfach wie immer: Wenn ein guter Text und eine gute Melodie zusammenkommen und sich heiraten, wird daraus ein Drittes, ein gutes Lied.

Jede Veranstaltung, die zum Fest werden soll, braucht einen gestalteten dramatischen Bogen. Einen Verlauf, in den Lieder die Anwesenden Schritt für Schritt hineinbringen, sie erfassen und im gemeinsamen Singen weitertragen, überführen, verwandeln, versammeln, motivieren und sie schließlich entlassen. Jede Stimmung oder Haltung, in der sich Menschen befinden, aufhalten, oder in die sie gebracht werden, kann sich in Liedern vertiefen wie erlösen (lassen).

Damit habe ich im Kern das Gestaltungsprinzip beschrieben, das wir miteinander im Lauf der frühen siebziger Jahre für die großen Feste bei den Deutschen Evangelischen Kirchentagen für die liturgischen Nächte, Themenfeste, Familientage: für lebendige Liturgie eruiert hatten.

Als uns Anfang der siebziger Jahre klar wurde, dass wir überkommene Tradition befruchten, indem wir behutsam an ihr weiterwirken, indem wir selbstbewusst über sie hinausgehen, als uns das klar war, hat Janssens unseren Liederkanon beständig verjüngt und so unser Teil geschaffen. Die Mischung der Beteiligten war ihrerseits spiritual: leibhaftig katholische, nüchtern reformierte, befreit agnostizistische Biografien mischten sich, arbeiteten und feierten zusammen die gespannten Bögen. „Du bist eine Brücke, auf der ich gehen kann. Ich sing für dich, Brücke, ich sing für dich. Du bist ein Glaube, der mich nicht lassen kann. Du singst für mich, Glaube, du singst für mich.“(26)

Piet hat die Kirchentage mit seinen Liedern seit 1973 treu bis an sein Ende belebt und begleitet.

Die Straße der Seligen und Heiligen:

Janssens hat nicht aufgegeben katholisch zu sein, wiewohl ihm auf seinem Lebensweg die Kirchentüren nicht durchgängig offen standen, kirchenamtlich auf Zeit verschlossen wurden.(27) Die Reihe derer, die ihm Beispiel sind, die ihn bewegen, die er hereinholt in die eigene Zeit, ist urbildlich seine Reihe: Maria (Ave Eva), Franz von Assisi, Hildegard von Bingen, Elisabeth von Thüringen, Gotthold Ephraim Lessing (Die Brücke fließt), Albert Schweitzer, Dietrich Bonhoeffer, die Eingeborenen (Passion der Eingeborenen), die lebendigen Toten (Uns allen blüht der Tod).

Uns allen voran bleibt Wilhelm Willms in seiner Sprachgüte. Das hat Piet selber so gesehen und wir stimmen ihm zu. Janssens hat viele Musikspiele geschaffen und sie mit seinem Gesangsorchester ins deutschsprachige Land gebracht: Sie stehen aus der Versenkung auf, die Seligen und die Heiligen, stiften uns Erkenntnis und Bewunderung und in beidem Mut zum Leben.

Die Straße der Tiere:

Du Lamm Gottes. Unschuldig. Das Lamm, Sinnbild des Ertragens Christi, immer in dieser Richtung gelesen. Umgekehrt. Sinnbilder müssen sich umkehren lassen: Christus als Sinnbild für das Leiden der Lämmer. Das Schlachtopfer, der Sündenbock, weiter gedacht: das unendliche Leiden der Tiere. Der Kreatur, verursacht durch den homo faber jeder, unserer Zeit. Damit sind wir ganz unten: Die Weherufe (Die Zeit ist reif), Requiem für die Tiere (Spielball Schöpfung), Das Tierparlament, Damit die Erde Heimat werde, die vielen Demonstrationen, Versammlungen, Protestveranstaltungen, auch Gottesdienste bei Kirchen- und anderen Tagen um der Tiere willen. Deren Qual hat Janssens‘ Seele gefangen. Darum ist er für sie aufgestanden, hat komponiert, gespielt, gesungen und gekämpft, gekämpft und gesungen für sie, weil: sie können sich nicht wehren gegen die Übermacht menschlicher Habgier.

Jede Hauptstraße hat Abzweigungen. Beileibe nicht alles ist beschrieben, was zu Janssens‘ Werk gehört. Aber das kann Sie neugierig machen, selbst nachzuforschen, selbst sich einzuhören und den zu entdecken, der beschrieben ist wie in einem Spiegel.(28)

9. Schlusssatz

aufgeschrieben von

Friedrich Karl Barth